Wie im Strassenverkehr so in der Fabrik und im Büro: Bei maximaler Auslastung der Ressourcen steigen die Durchlaufzeiten durch die Organisation. Der Wertfluss beginnt zu stocken, was im Extremfall zum Stau im System führt. Die aktive Steuerung von Wertflüssen hingegen befreit bislang gebunden geglaubte Ressourcen, die zur Erhöhung der Gesamtprofitabilität eingesetzt werden können. Die Umstellung verschafft Ihnen einen Wettbewerbsvorteil, ohne jeglichen Investitionsbedarf!

 

Hintergrund

Eine Wertschöpfungskette besteht meist aus vielen seriell hintereinander geschalteten Fertigungsschritten oder Teilprozessen. Vorne kommt das Rohmaterial in die Fabrik hinein und wird von zig Menschen, Maschinen und Teams bearbeitet, bis es hinten als fertiges Produkt an den Kunden geliefert werden kann. Genauso in einem Bürobetrieb, wo beispielsweise Bestellungen, Spezifikationen und Rechnungen verarbeitet werden. Oder auf der Autobahn mit zig Auf- und Abfahrten, wo Autos dazustossen oder auch wieder abfahren.

Der Stau versinnbildlicht ein System mit maximaler Ressourcenlast und weitestgehend zusammengebrochenem Wertfluss. Wie gut fliessen die Werte in Ihrer Firma?

Der Stau versinnbildlicht ein System mit maximaler Ressourcenlast und weitestgehend zusammengebrochenem Wertfluss. Wie gut fliessen die Werte in Ihrer Firma?

In jeder seriell verknüpften Prozesskette befindet sich immer mindestens ein Engpass oder Flaschenhals, der die gesamte Wertschöpfungskette bezüglich Durchsatzes begrenzt. Kommt mehr Last in das System hinein, als der Flaschenhals verarbeiten kann, entsteht Stau. In der Fabrik sind das beispielsweise die sich stapelnden Paletten, im Büro die überquellenden Outlook-Inboxen, im Strassenverkehr der Stau.

Einen harten und systembedingten Engpass stellt beispielsweise der Übergang einer dreispurigen Autobahn auf eine zweispurige dar. Ein wandelnder und nicht vorhersehbarer Engpass entsteht bei einem Unfall. In der Firma können das analog der völlig überlastete Fachexperte sein, dessen Job niemand anders erledigen kann, oder ein krankheits- oder unfallbedingter Ausfall eines Mitarbeiters oder eine defekte Maschine.

Welche Herausforderungen entstehen bei voller Ressourcenlast?

Der erste Blick ins voll beschäftigte Unternehmen lässt Freude aufkommen: Wow, die ganze Belegschaft und alle Maschinen laufen auf Volldampf, die ganze Firma ist bis obenhin mit Aufträgen und Material gefüllt!

Der geschulte zweite Blick erkennt folgende bedeutsame Probleme und damit Optimierungspotentiale:

  • Die Kunden beschweren sich über steigende Lieferzeiten.
  • Der Verkäufer kann dem Kunden keine realistischen Lieferzeiten mehr nennen.
  • Die Fabrik platzt förmlich aus allen Nähten, ohne neues Gebäude erscheint ein erweitertes Produzieren undenkbar.
  • Der Controller kritisiert die Zunahme des gebundenen Kapitals.
  • Menschen und Maschinen stehen unter enormem Druck, insbesondere jene, die den Flaschenhals repräsentieren.
  • Kontinuierliche Verbesserungsmassnahmen, die Entwicklung neuer Produkte oder gar Innovationen bleiben liegen, alle rennen im operativen Hamsterrad.

Verzweifelte Lösungsansätze

Meist wird umgehend der Ruf nach mehr Ressourcen laut: Mehr Personal, weitere Maschinen, ein grösseres Fabrikgebäude, eine zweite Produktionsstrasse. Nur, das erfordert finanziell bedeutsame Investitionen und viel Zeit für die Umsetzung. Beides ist im harten Wettbewerbsumfeld unserer Tage ein rares Gut geworden.

Oft wird auch versucht, mehr Druck auf die kritischen Ressourcen beim Engpass auszuüben. Mitarbeiter sollen Nacht- und Wochenendschichten einlegen. Das mag kurzfristig eine Option sein, um unvorhersehbare Ausfälle aufzufangen. Mittel- und langfristig ist diese Massnahme nicht wirksam und zahlt negativ ein, spätestens nach dem Burnout des ersten Mitarbeiters oder dem Ausfall einer nicht mehr korrekt gewarteten Maschine.

Fokus auf Wertfluss, statt auf Ressourcenlast

Legen Sie neu Ihren Fokus auf den Wertfluss, nicht auf die Auslastung von Ressourcen. Das machen Sie konkret, indem Sie die Anzahl gleichzeitig bearbeiteter Arbeitsstücke in Ihrer Wertschöpfungskette auf das für den Flaschenhals verträgliche Mass reduzieren. Ihre unternehmerische Profitabilität bleibt exakt gleich hoch, obwohl jetzt plötzlich Ressourcen in Ihrer Firma frei werden und nicht mehr vollständig beschäftigt sind. Aus einem Push-Mechanismus entsteht ein flussoptimierter Pull-Mechanismus. Analog der Lean Prinzipien nach Womack & Jones: vom Kunden gezogen.

Mit Little’s Law, auch Stautheorie genannt, lässt sich das beschriebene Phänomen mathematisch herleiten und erklären:

Das Verkürzen der Durchlaufzeit durch die Firma und damit das Optimieren des Wertflusses kann einerseits durch das Vergrössern des Durchsatzes erreicht werden. Aber das kostet wie bereits erwähnt Zeit und Geld. Nicht selten fliegen Sie mit dem Antrag auf mehr Ressourcen aus dem Büro Ihres Chefs, bevor Sie den Antrag richtig zu Ende formuliert haben.

Gratis und sofort umsetzbar ist hingegen die Reduktion des Work-in-Progress, auch WIP genannt. Man verringert die Anzahl gleichzeitig bearbeiteter Arbeitseinheiten und limitiert das Gesamtsystem zwecks verbessertem Wertfluss. Das erfordert nichts mehr als etwas Wissen und Erfahrung. Und natürlich Mut, einen unkonventionellen ersten Schritt zu tun, den nicht alle gehen und den sie erklären können müssen.

Ihr täglicher Fokus wendet sich jetzt weg von der Planung und Auslastung Ihrer Ressourcen hin zur aktiven und stetigen Steuerung des Flusses. In der Praxis werden Sie sich neu um das Management von Flaschenhälsen kümmern. Wohlwissend, dass jedes Quäntchen mehr Fluss durch den Flaschenhals auch mehr Profitabilität bedeutet. Ob von Zeit zu Zeit mal eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter nicht ausgelastet ist und herumsteht, ist zweitrangig und systembedingt sogar zwingend notwendig und sinnvoll.

Das sicht-, spür- und messbare Resultat

  • Ihre Kunden profitieren von optimalen Lieferzeiten.
  • Der Verkäufer kann auch bei höchstem Bestelleingang verbindliche Liefertermine nennen.
  • Die Zwischenlager verringern sich, in der Fabrik wird Platz frei, die Outlook-Inbox ist wieder übersichtlich.
  • Das bislang gebundene Kapital wird zu einem grossen Teil befreit.
  • Das Arbeiten ist weniger hektisch und macht mehr Spass, Überlasten sind zur Ausnahme geworden.
  • An die Stelle der egozentrischen Ressourcenlast tritt die Teamverantwortung für den Wertfluss in der Wertschöpfungskette.
  • Das Team beginnt, sich gegenseitig zu unterstützen, anstatt dass sich jeder selbst auszulasten versucht.
  • Sie haben wieder Zeit für kontinuierliche Verbesserungsmassnahmen, für die Entwicklung neuer Produkte, für Innovationen, etc.

Und warum steuern trotzdem fast alle Firmen Ressourcen, statt Wertflüsse?

Damit man Wertflüsse überhaupt steuern kann, muss man sie zunächst einmal erkennen. Wer in einen Industriebetrieb mit Arbeitern am Förderband blickt, erhält gleichzeitig einen Eindruck zum Wertfluss und zur Ressourcenlast. Nicht so beim Blick in einen Bürobetrieb: Nur die Ressourcenlast ist wahrnehmbar, beispielsweise an der Präsenzzeit und an der Hektik der Mitarbeiter. Der Wertfluss bleibt einem gänzlich verborgen.

Während am Förderband sowohl die Ressourcenlast als auch der Wertfluss intuitiv erblickt werden können, bleibt einem in einem Bürobetrieb nur mehr der Blick auf die Ressourcenlast. Vom Wertfluss sieht man im Büro nicht das geringste Detail.

Während am Förderband sowohl die Ressourcenlast als auch der Wertfluss intuitiv erblickt werden können, bleibt einem in einem Bürobetrieb nur mehr der Blick auf die Ressourcenlast. Vom Wertfluss sieht man im Büro nicht das geringste Detail.

Über die rein visuelle Erkennung von Wertflüssen hinaus handelt es sich beim Wertfluss und bei der Stautheorie um eine abstrakte Grösse. Firmen, die auf die Wertflusssteuerung umstellen, müssen die Theorie verstehen. Sie müssen auch den Mut haben, einem Mitarbeiter, der gerade mal in der Cafeteria herumsitzt, weil er nichts zu tun hat, nicht umgehend neue operative Arbeit aufzutragen. Ansonsten fallen sie sofort wieder zurück ins alte Push-Modell der Auslastung von Ressourcen.

Das Modell und die Theorie sind schnell verstanden, der richtige Umgang damit benötigt etwas Zeit und Begleitung.

Einführung einer Wertflusssteuerung

Zur Einführung einer Wertflusssteuerung in einer Firma eignet sich Kanban. Aber nicht überall, wo Kanban draufsteht, ist auch Kanban drin. Und wenn Sie leichtfertig Ihrer Belegschaft ein Kanban System aufzudrücken versuchen, dürften Sie auf Widerstand stossen.

Die Einführung von Flusssteuer- und Kanban-Systemen erzeugt viel Transparenz im Gesamtsystem. Das allein erklärt schon, warum man bei der Einführung behutsam vorgehen muss und das ganze Team oder auch ganze Bereiche mit einbeziehen soll.

Darüber hinaus ist die Steuerung von Wertflüssen insbesondere ab der menschlichen und organisatorischen Entwicklungs- und Reifestufe 6 nach Küchler/Klein korrekt versteh- und anwendbar (siehe hierzu einen meiner Nachfolgeartikel). Die Einführung sollte also möglichst auch stufenbasiert betrachtet werden, um weder die Mitarbeiter noch die Führungspersonen noch das Sozialsystem der Organisation zu überfordern.

Die Einführung einer Flussteuerung bietet ebenso grosse Chancen und Potentiale für die gezielte und stufengerechte Entwicklung und Transformation Ihrer Organisation: Befinden sich Teile Ihrer Organisation oder Belegschaft noch auf der Entwicklungsstufe 5, kann die Einführung der Flussteuerung den optimalen Anreiz und die optimale Umgebung bieten, um den Stufenübergang auf die Entwicklungsstufe 6 mittels einiger transformativer Begleitmassnahmen einleiten und erfolgreich meistern zu können.

Wie man Kanban Systeme in Teams, Bereichen und ganzen Firmen einführt, erkläre ich in einem Nachfolgeartikel.

Nachtrag

Empfohlene Lektüre: Das Ziel, Eliyahu Goldratt. Ein Roman über Prozessoptimierung.

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by Andre_Wermelinger

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