Stufenentwicklung und stufenbasierte Organisationsentwicklung als Lösung für agile Transformation

Die Berücksichtigung menschlicher und organisatorischer Reifestufen sind der Schlüssel zu performanten und von allen Mitarbeitern gut akzeptierten Organisationsmodellen, Prozessen und Managementinstrumenten. Nicht jede Organisation benötigt ein agiles Modell. Nicht jede Organisation erfüllt die Voraussetzungen für Agilität. Dank der Stufenbasierten Organisationsentwicklung können Transformationsvorhaben realistisch geplant und deren Ziele planmässig erreicht werden. Nicht optimal gelungene Transformationen können nachgeschärft und deren gesetzten Ziele doch noch erreicht werden.

Hintergrund

Ein von mir hochgeschätzter Fachexperte für agile Organisationsmodelle, seines Zeichens ein wandelndes agiles Lexikon, meinte kürzlich: Eine Task Force wäre eng verwandt mit einem Lean-/Agilen Team, ähnlich Zwillingen. Ein Lean-/Agiles Team wäre im Kern nichts anderes als eine Task Force.

Der erwähnte agile Experte arbeitet in einer Organisation, die sich mitten in der agilen Transformation befindet. Die Organisation greift trotz weit fortgeschrittener agiler Transformation noch immer regelmässig auf Task Forces zurück.

Bei der Gleichsetzung dieser zwei Organisationsmodelle dürfte es sich um einen sehr wohl nachvollziehbaren Versuch handeln, das eigentlich unerwünschte Verhalten erklärbar zu machen und gutzuheissen.

Hilfreicher wäre meines Erachtens gewesen, die Unterschiede präziser zu analysieren, und sich zu überlegen, weshalb denn die Organisation weiterhin regelmässig in den Task Force Modus zurückfällt, die Menschen sich darin durchaus wohl fühlen und dabei die agile Transformation behindern und verzögern.

Und genau hier kommt die Stufenbasierte Organisationsentwicklung ins Spiel. Anhand der Reife- und Entwicklungsstufe von Menschen und Organisationen lässt sich die Situation präzise erklären. Die Stufenbasierte Organisationsentwicklung ermöglicht es, konkrete Massnahmen zur Optimierung zu ergreifen.

Die passende Organisationsform zur Aufgabe

Eine Organisationsform hat zum Zweck, möglichst optimal die an die Organisation herangetragene Herausforderung meistern zu können. Unterschiedliche Organisationsformen eignen sich unterschiedlich gut zur Lösung von Problemen.

Zu einfache Organisationsmodelle können unter Umständen der Herausforderungen am Markt nicht gerecht werden. Zu komplexe Organisationen schiessen mit Kanonen auf Spatzen. Konkret hat eine Blaulichtorganisation wie die Feuerwehr ein gänzlich anderes Bedürfnis an ihre Organisationsform als eine Softwareentwicklungsfirma im schnelllebigen Markt.

Küchler/Klein (2021) unterscheiden im Rahmen der Stufenbasierten Organisationsentwicklung Organisationsformen im Spannungsfeld von Vorhersehbarkeit und Komplexität der an die Unternehmung herangetragenen Herausforderungen.

Organisationen benötigen ein Organisationsmodell, das zur Komplexität der an sie herangetragenen Aufgabe passt. Quelle: Küchler/Klein

Organisationen benötigen ein Organisationsmodell, das zur Komplexität der an sie herangetragenen Aufgabe passt. Quelle: Küchler/Klein

Die erwähnte Feuerwehr muss ein klar eingrenzbares Problem lösen, das auf hoher Unberechenbarkeit beruht. Sie ist mit einer dominanzorientierten Organisation wie einer Task Force gut bedient. Ein Softwareentwicklungsunternehmen steht vor erheblich höherer Komplexität und vor Marktbedingungen, die sich schnell, aber meist nicht ganz unvorhersehbar ändern können. Mit zunehmender Reifestufe von Menschen und Organisationen kann eine Softwarefirma zusehends mehr und nachhaltigeren Erfolg erzielen. Konkret ausgehend von der Expertenorganisation, über die Leistungs- & ergebnisorientierte Organisation bis hin zur vollagilen visionär- und partizipativen Organisation.

Stufenbasierte Betrachtung einer Task Force

Eine Task Force eignet sich zur Bewältigung von Krisensituationen. Sie setzt gut einstudierte Standardroutinen zur Lösung der anstehenden Herausforderung ein. Die Gesamtkomplexität der Herausforderung selbst ist eher gering, wenn auch die Situation sich schnell und teilweise unberechenbar verändern kann. Die Lagebeurteilung erfolgt aus dem Moment heraus und die taktischen Entscheidungen müssen schnell und sicher getroffen werden.

Bei einer Task Force handelt es sich meist um eine dominanzorientierte und hierarchisch aufgebaute Organisationsform: Oben befiehlt, unten gehorcht. Diskussionen und Beteiligungen an der Lösungsfindung haben kaum Platz, es fehlt insbesondere die Zeit für den Austausch.

Einstudierte Standardroutinen in Blaulichtorganisationen. Oben befiehlt, unten gehorcht. Optimal für Task Forces. Einsetzbar bereits ab der menschlichen Reife- und Entwicklungsstufe 3 entlang der Stufenentwicklung nach Küchler/Klein (2021).

Einstudierte Standardroutinen in Blaulichtorganisationen. Oben befiehlt, unten gehorcht. Optimal für Task Forces. Einsetzbar bereits ab der menschlichen Reife- und Entwicklungsstufe 3 entlang der Stufenentwicklung nach Küchler/Klein (2021).

Entlang der stufenbasierten Organisationsentwicklung nach Küchler/Klein können Task Forces bereits ab der frühen Entwicklungs- und Reifestufe zielführend eingesetzt werden und richtig performant wirken. Sie erfordern mindestens die menschliche Reifestufe 3, die «Selbstorientiert» genannt wird. Die entsprechende organisatorische Reife auf Stufe 3 wird «Taskforce- & dominanzorientierte Organisation» genannt.

Auch die Stufe 5 (Rationalistische menschliche Reifestufe; Experten-Organisation) fühlt sich noch wohl in Task Force ähnlichen Modi. Die Experten können ihr Fachwissen einbringen. Die hierarchischen Strukturen und aufgebauten Einflussbereiche erlauben es, die eigene Überzeugung durchzudrücken, ohne gross auf Nebengeräusche und Kritiker hören zu müssen. Vieles läuft über die Ausübung von Macht, auch wenn durchaus im Stufe-5-Modus Meinungen der Untergebenen eingeholt und in die Entscheide mit einbezogen werden können.

Die Taskforce ist nur für den Fall der Krisenbewältigung das Mittel der Wahl. Anschliessend wird in einen normalen Modus zurückgeschaltet. Blaulichtorganisationen wie die Polizei beispielsweise arbeiten normal in der Denk- und Handlungslogik auf Stufe 5, teilweise auch schon 6. Im konkreten Einsatz wird aber die Stufe 3 gefordert und eingesetzt, was sinnvoll und notwendig ist. Oder wer würde schon gerne vor seinem brennenden Haus zuschauen, wie die Feuerwehr einen teamgestützten Entscheid einholt, mit welcher Taktik man das Feuer am besten löschen will?

Eine Task Force handelt lokal in einem eng und spezifisch definierten Handlungsraum. Langfristige Auswirkungen ihres Handelns werden systembedingt ausgeblendet. So kann eine Task Force unerwünschte Nebeneffekte und teilweise erhebliche Kollateralschäden auslösen. Am Beispiel der Feuerwehr erklärt, könnte der nachgelagerte Wasserschaden so ein unerwünschter Nebeneffekt sein.

Stufenbasierte Organisationsentwicklung

Überblick über die Entwicklungsstufen von Menschen und Organisationen. Quelle: Küchler/Klein

Stufenbasierte Betrachtung eines Lean-/Agilen Teams

Ganz anders und eben gerade weder ähnlich noch demselben Zweck dienlich, ist die Funktionsweise und der richtige Einsatzort von Lean-/Agilen Teams. Lean-Agile Teams sind je nach Maturität sehr viel besser auf längerfristige Zeithorizonte und komplexere Aufgaben ausgerichtet. Sie sind in der Lage, strategisch weiter vorauszuschauen. Ebenso können sie ihren lokalen Optimierungsfokus verlassen und nach links und rechts auf die gesamte Wertschöpfungskette blicken.

Lean-/Agile Teams können insbesondere gut mit sich ändernden Rahmenbedingungen in ihrem Umfeld – beispielsweise dem Markt – umgehen, sind aber, über alles und ehrlich betrachtet, nicht zwingend effizienter oder schneller. Sie sollen nicht reaktiv im Feuerwehrmodus Feuer löschen, sondern schnell und möglichst frühzeitig auf sichtbare Tendenzen und veränderte Rahmenbedingungen eingehen und sich agil daran ausrichten.

Echte Agilität bedarf einer späteren Entwicklungsstufe als eine Task Force. Ab Stufe 6, der leistungs- und ergebnisorientierten Organisation, kann Agilität erstmals intellektuell korrekt verstanden und entlang des Handbuches nachgelebt werden. Wir nennen das «Doing Agile», man liest, lernt, beobachtet und versucht sich entsprechend der Anleitung zu verhalten.

Richtig gut funktioniert Agilität aber erst in einer Organisation auf Stufe 7, der visionär-partizipativen Organisation. Menschen der Stufe 7, die relativierend genannt wird, können die agilen Prinzipien erstmals richtig intrinsisch verinnerlichen, akzeptieren und vorleben, was wir «Being Agile» nennen. Die Agilität ist zum Teil ihrer normalen und selbstverständlichen Arbeitsweise geworden.

In einer echten 7er-Organisation kann die Agilität dann auch ihre Stärken in der Innovationskraft und Marktnähe ausspielen. Die Menschen in der 7er-Organisation können erstmals wahrhaftig Eigenverantwortung übernehmen und sich stetig und eigenverantwortlich weiterentwickeln.

Organisationen auf dem Weg der agilen Transformation fallen in alte Muster zurück

Die grösste Herausforderung in der agilen Transformation stellt die nicht wegzuredende Tatsache dar, dass unsere Gesellschaft aktuell aus maximal 10% Menschen der Stufe 7 beruht. Es ist mir ein Anliegen, hier zu präzisieren, dass frühere und spätere Entwicklungsstufen nicht wertend gemeint sind. Jede Entwicklungsstufe hat ihre Vor- und Nachteile, jede Entwicklungsstufe hat ihre individuellen Herausforderungen, jede Entwicklungsstufe ist wertvoll und kann Wirkung erzeugen. Aber zur Erzeugung von maximaler Energie braucht jede Entwicklungsstufe auch die ihr gerecht werdenden Rahmenbedingungen.

Die Prozentzahlen zur Verteilung von Entwicklungsstufen in der Gesellschaft stützen sich auf Messungen von Ich-Entwicklungs-Profilen auf Basis der wissenschaftlichen Methodik von Jane Loevinger, gemessen durch Dr. Thomas Binder. Die Annahme der 10% Menschen auf Stufe 7 dürfte sogar zu hoch eingeschätzt sein. Menschen späterer Reifestufen neigen eher dazu, sich ein klares Abbild ihrer Ich-Entwicklung zu machen. Menschen früherer Reifestufen sehen entweder den Sinn eines solchen Ich-Entwicklungsprofiles nicht oder fürchten sich vor dem transparenten Resultat, dem vorgehaltenen Spiegelbild. Das dürfte das verfügbare Zahlenmaterial verzerren.

Ebenso basierend auf den Zahlen von Dr. Thomas Binder befinden sich in vielen Firmen, die mit einem höheren Komplexitätsgrad beschäftigt sind, prozentual am meisten Menschen der Reife- und Entwicklungsstufen 5 (Rationalistisch, 38% der Bevölkerung) und 6 (Eigenbestimmt, 30% der Bevölkerung). Und genau das erklärt, warum sich viele Führungspersonen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Task Force Modus wohler fühlen als in der modernen agilen Organisation. Zwischen Task Force Modus und Agilität klafft ein Stufenübergang von mindestens einer Stufe, oft sind es deren zwei. Ohne gezielte und aktiv gesteuerte Transformation sind zwei Stufenübergänge unüberwindbar für die Mitarbeiter und die Organisationseinheiten.

Agile Prinzipien und Rollenmodelle, die auf Eigenverantwortung aufsetzen und die Stufe 7 erfordern würden, werden insbesondere von den Menschen auf Stufe 5 anders aufgefasst und interpretiert. Wo Agilität draufsteht, ist plötzlich nicht mehr viel Agilität drin. Das führt faktisch im Betrieb zu einem kompletten Übersteuern von agilen Prinzipien, Rollenmodellen und Prozessbeschrieben. Der vielzitierte Eisberg.

Die Stufenentwicklung erklärt viele Aspekte, weshalb vorgegebene Methoden, Prozesse und Prinzipien von der Belegschaft ganz anders aufgefasst, interpretiert und gelebt werden.

Die Stufenentwicklung erklärt viele Aspekte, weshalb vorgegebene Methoden, Prozesse und Prinzipien von der Belegschaft ganz anders aufgefasst, interpretiert und gelebt werden.

Weil das unerwünschte Verhalten nicht korrekt analysiert und verstanden wird (oft auch nicht von agilen Spezialisten, Human Ressources Experten oder Organisationsentwicklern und Change Managern), können auch keine wirkungsvollen Gegenmassnahmen definiert werden. Man reagiert mit noch mehr Schulung, noch präziseren Rollenbeschrieben, weiteren Retrospektiven und Inspect & Adapt Sessions, Maturitäts-Assessments, etc. Ohne jegliche Wirkung, einfach mit noch mehr operativer Hektik und noch mehr Verunsicherung in der Organisation.

Und dann entstehen wieder die altbekannten Task Forces, welche ihrerseits die agile Organisation und die agilen Prinzipien komplett aushebeln und übersteuern. Insgesamt werden damit auch die Lean Prinzipien ausser Kraft gesetzt. Und irgendwann redet man die Geschichte dann schön, indem man, wie eingangs beschrieben, die Task Force heiligt und mit einem Lean-/Agilen Team vergleicht. Spätestens dann hat man das unerwünschte Verhalten zum neuen Standard erklärt. Ein unschönes kulturelles Zeichen, das man so schnell nicht mehr aus der Organisationswelt schaffen kann.

Die stufenbasierte Organisationsentwicklung als Schlüssel

Dabei könnte der gezielte Entwicklungs- und Transformationsansatz entlang der stufenbasierten Organisationsentwicklung hilfreiche Dienste leisten.

Performanz, Akzeptanz und Anreiz zur kontinuierlichen Entwicklung entstehen durch die stufengerechte Verzahnung von Mensch und Organisation.

Performanz, Akzeptanz und Anreiz zur kontinuierlichen Entwicklung entstehen durch die stufengerechte Verzahnung von Mensch und Organisation. Quelle: Küchler/Klein

Performanz, Akzeptanz und Anreiz zur kontinuierlichen Entwicklung entstehen durch die stufengerechte Verzahnung von Mensch und Organisation. Quelle: Küchler/Klein

Das erwähnte Spannungsfeld zwischen der gewünschten, aber nicht vorhandenen Stufe 7 für die vollagile Transformation und real vorherrschend Menschen der Stufen 5 und 6 muss zumindest teilweise aufgelöst und konsolidiert werden. Als Stufenentwickler lege ich den Fokus auf die Konsolidierung der zu weit auseinanderklaffenden Stufen. Der gemeinsame Nenner im vorliegenden Beispiel der agilen Organisation, die gerne und schnell auf Task Forces zurückgreift, liegt auf Stufe 6, der leistungs- und ergebnisorientierten Organisation.

Fördernd für die Verankerung der Stufe 6 in der Organisation ist beispielsweise das konsequente Steuern von Wertflüssen und damit der Anreiz zur faktenbasierten Priorisierung und Limitierung der gesamten Wertschöpfungskette. Es werden nicht weiter auf individueller Ebene Ressourcen ausgelastet, die zum Stau im System führen würden, sondern gemeinsam der Wertfluss der gesamten Wertschöpfungskette gesteuert (siehe zum Thema der Wertflusssteuerung Artikel «Steuern Sie schon Wertflüsse oder lasten Sie noch Mitarbeiter aus?»).

Führungskräfte können nicht mehr wie in der 5er-Organisation rein auf ihre hierarchische Position, ihre Fachkompetenz und ihren Macht- und Einflussbereich zählen. In einer 6er-Organisation verstehen sie sich stärker als Wegbereiter, welche die zur Steuerung der Organisation notwendigen Managementsysteme und Methodiken einbringen. Sie führen nicht über direkte Aufträge, sondern über das Erklären der wichtigsten Zusammenhänge, Strategien und Werte. Sie sind in der Lage, die Belegschaft für die gemeinsamen Ziele zu begeistern und unterstützen sie in der weiteren Entwicklung.
Menschen der Stufe 5 sind im geeigneten und förderlichen Umfeld in der Lage, sich ähnlich 6ern zu verhalten. Mit etwas Begleitung und stufengerecht gesetzten Anreizen können sie in einem solchen Umfeld den persönlichen Stufenübergang von 5 nach 6 verhältnismässig einfach und schnell meistern.

Was zuvor noch einer Task Force bedurfte, kann nun vollständig in der agilen Organisation umgesetzt werden. Es erscheint also sinnvoller, die transformativen Elemente richtig zu designen, als in der Not auf nicht adäquate Organisationsformen zurückzugreifen. Greift man trotzdem auf die altbekannte Task Force zurück, macht es Sinn, diese als solche zu betrachten und zu benennen, bis die Organisation dank höherer Reife nicht mehr darauf zurückgreifen muss.

Das Spannungsfeld der unüberbrückbaren Stufenübergänge zwischen 5 und 7 hat sich jetzt verkleinert. Mit der Konsolidierung von Mensch und Organisation auf Stufe 6 wird erstmals eine gezielte Transformation auf die für Agilität gewünschte Stufe 7 möglich.

Anhang

Empfohlene Lektüre zur Vertiefung: Stufenentwicklung in der Praxis, Barbara Küchler und Gerhard Klein

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by Andre_Wermelinger

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